Dienstag, 28 Oktober 2025 13:49

Unerwartete Diagnosen in der elektronischen Patientenakte

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Fehlerhafte Diagnosen sorgen für Unsicherheit bei Patienten. Fehlerhafte Diagnosen sorgen für Unsicherheit bei Patienten. Foto: Pixabay/Pixabay-Lizenz

Eine neue Technik bringt alte Probleme ans Licht. Seit Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) werden erstmals falsche oder nie mitgeteilte Diagnosen sichtbar. Was früher in Praxiscomputern verborgen blieb, führt nun zu Verunsicherung, finanziellen Nachteilen und juristischen Streitfällen. Immer mehr Betroffene entdecken Einträge, von denen sie nie gehört haben.

Inhaltsverzeichnis:

Überraschende Befunde bei Berliner Patientin

Eine junge Mutter aus Berlin erlebte eine böse Überraschung, als sie eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen wollte. In den Unterlagen ihrer Frauenärztin fand sie mehrere Diagnosen über psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen. Davon wusste sie nichts. Laut Ursula Gaedigk, der Patientenbeauftragten des Landes Berlin, hatte die Frau nur über normale Herausforderungen rund um Geburt und Mutterschaft gesprochen. Erst die Versicherungsanfrage brachte die Einträge ans Licht.

Gaedigk berichtet, dass solche Fälle zunehmen. Immer häufiger melden sich Menschen, die beim Einblick in ihre ärztliche Dokumentation auf unbekannte oder fragwürdige Diagnosen stoßen. In diesem Jahr seien die Anrufe wegen fehlerhafter oder übertriebener Befunde leicht gestiegen.

Auch Männer sind betroffen. Ein Berliner, der eine Vorsorgeuntersuchung absolvierte, entdeckte später in seiner Akte mehrere Diagnosen, die seine Verbeamtung verhinderten. Gaedigk erklärt, dass ihre Aufgabe darin bestehe, Betroffene zu beraten, wie sie auf solche Probleme reagieren können.

Elektronische Patientenakte bringt Fehler ans Licht

Seit dem 1. Oktober müssen Ärztinnen, Ärzte und Psychotherapeutinnen alle Befunde und Arztbriefe in die elektronische Patientenakte ihrer Patienten eintragen. Sie soll die Kontrolle über Gesundheitsdaten erleichtern, macht aber auch sichtbar, was bisher unbemerkt blieb.

Laut GKV-Spitzenverband entstanden in den Jahren 2022 und 2023 durch Fehlverhalten im Gesundheitswesen Schäden von über 200 Millionen Euro. Davon entfielen rund 8,5 Millionen Euro auf ärztliche Leistungen.

Früher blieben Dokumentationen oft verborgen. „Patientinnen und Patienten hatten auch früher das Recht auf Einsicht“, erklärt Gaedigk, „doch die Hürde war höher. Durch die ePA ist der Behandlungsprozess transparenter geworden.“

Phantomdiagnosen und ihre Ursachen

Auch Anja Lehmann von der Stiftung Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) bestätigt, dass falsche Diagnosen kein neues Problem sind. Oft fallen sie erst auf, wenn jemand eine Versicherung abschließen möchte. Versicherer fordern dann Patientenakten oder sogenannte Patientenquittungen an. Diese enthalten alle Leistungen, die gegenüber der Krankenkasse abgerechnet wurden.

Seit Oktober müssen Krankenkassen diese Daten in die ePA übertragen. Patienten können sie nun direkt am Smartphone sehen. „Wenn der Versicherte Zugriff auf seine ePA über die App hat, sieht er Diagnosen, über die er nie informiert wurde“, erklärt Lehmann.

Besonders häufig betreffen diese Einträge psychische Erkrankungen. „Gynäkologen machen so etwas anscheinend recht häufig“, sagt Lehmann. Ein kurzes Gespräch über Erschöpfung könne plötzlich als Depression dokumentiert werden.

Gaedigk betont, dass Betroffene das Recht haben, zu erfahren, welche Diagnosen über sie bestehen. Selbst wenn die Diagnose korrekt ist, muss der Arzt informieren.

Vorgehen bei falschen Diagnosen

Wer eine unbekannte Diagnose entdeckt, sollte den behandelnden Arzt aufsuchen. „Zuerst sollte man das Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt suchen, die oder der die Diagnose gestellt hat“, rät Gaedigk.

Lehmann beschreibt den rechtlichen Weg:

  1. Der Patient kann bei falschen Diagnosen in den Abrechnungsdaten eine Berichtigung verlangen.
  2. Ein ärztlicher Nachweis ist nötig, dass die Diagnose wirklich falsch ist.
  3. Die Krankenkasse kann die Daten nur ändern, wenn der Arzt die Korrektur bestätigt.

Schwierigkeiten entstehen, wenn der Arzt die Diagnose nicht zurücknimmt. Juristisch gilt sie als Werturteil. Nur wenn sie objektiv falsch ist, kann eine Änderung verlangt werden.

Falsche Diagnosen können erhebliche Folgen haben:

  • Nachteile bei Versicherungen
  • finanzielle Schäden
  • Risiken für die Patientensicherheit

Lehmann warnt, dass sich fehlerhafte Einträge in der elektronischen Akte verbreiten können. Andere Ärztinnen und Ärzte orientieren sich dann an ihnen.

Zwischen Arzt, Kammer und Krankenkasse

In gravierenden Fällen kann Schadenersatz gefordert werden. Wenn jemand etwa wegen einer falschen Diagnose nicht verbeamtet wird, kann der Arzt theoretisch haftbar sein. Doch letztlich entscheidet ein Gericht, ob die Diagnose objektiv falsch war.

Gaedigk rät, schnell zu handeln. Eine zweite Meinung könne helfen. Auch Krankenkassen oder Ärztekammern bieten Unterstützung.

Die Zuständigkeiten sind jedoch oft unklar. Die Ärztekammer Berlin verweist auf die Kassenärztliche Vereinigung, diese wiederum auf die Ärztekammer. So bleiben viele Patientinnen und Patienten zwischen Institutionen gefangen.

Ursula Gaedigk versteht ihre Rolle als Lotsin im Gesundheitssystem. Sie hilft Menschen, sich zurechtzufinden – oft beginnt dieser Weg mit einem einzigen Blick in die eigene Akte.

Quelle: rbb24, webrivaig.com/de